Wolfgang Bahr, Kassel

Wo war in den 50rer und 60er Jahren die Heimaufsicht?

Die Aufsicht über Heime existierte so gut wie nicht. Die Träger konnten eine Befreiung von der im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz festgelegten Einzelhalteerlaubnis erhalten und waren damit faktisch ohne Aufsicht. Damit waren Leistungserbringung und die Kontrolle darüber in einer Hand. Erst mit dem Jugendwohlfahrtsgesetz wurde die Heimaufsicht im Jahre 1961 (in § 78) eingeführt. Damit konnte allmählich eine Veränderung und Verbesserung der Bedingungen in der Heimerziehung erreicht werden. Wirklich wurde der alte Zopf der Heimerziehung aus den 50er und 60er Jahren jedoch erst mit der Heimrevolte nach 1968 durch Reformen allmählich verändert. Eine qualifizierte Heimaufsicht, die Beratung und Kontrolle einschließt, wurde mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ab 01.01.1991 eingeführt und den Landesjugendämtern zugeschrieben. Damit lag die Finanzverantwortung und die Kontrolle und Aufsicht nicht in einer Hand. Das Landesjugendamt konnte durch Beratung, Hilfe, Auflagen oder Schließung der Einrichtung Problemen in der Heimerziehung begegnen.

Im Sommer dieses Jahres wurden durch Bundestag und -rat Änderungen im Grundgesetz beschlossen, die für die Heimaufsicht und fachlichen Begleitung der Heimerziehung und der gesamten Kinder und Jugendhilfe große Folgen haben kann.

Folgendes ist an Änderungen beschlossen worden:Art. 72 Abs. 2 GG schränkt die (konkurrierende) Gesetzgebungskompetenz des Bundes ein. Es bleibt dem Bundesgesetzgeber lediglich die Modernisierung bereits bestehender Regelungen. Innovative und strukturelle Weiterentwicklungen im Kinder- und Jugendhilferecht sind unter diesen rechtlichen Bedingungen nicht zu erwarten.Die Änderungen in Art. 84 Abs. 1 ermöglicht den Ländern, ab 01.09.2006 von bundesrechtlichen Vorgaben der Aufgabenzuweisung an bestimmte Behörden abzuweichen.

Nach Art. 125b Abs. 2 GG können ab 01.01.2009 die Länder auch Abweichungen bezüglich festgelegter Verwaltungsverfahren in Bundesrechtlichen Stammgesetzen vornehmen.

In Bezug auf die Heimaussicht der Landesjugendämter und die fachliche Begleitung der Heimerziehung durch die Jugendämter heißt das:

Die Länder können die Aufgabenzuweisungen der Jugend- und Landesjugendämter auf andere Behörden verlagern. Sie können sogar beschließen, dass die Kommunen selber festlegen, welche Behörden die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe wahrnehmen sollen. Damit würde dann das Jugendamt als Fachbehörde auch in Bezug auf seine Zweigliedrigkeit (Verwaltung und Jugendhilfeausschuss) und Bündelung aller Jugendhilfeaufgaben zur Disposition stehen. Der Bund kann auf eine solche Abweichung mit einer neuen bundesrechtlichen Regelung antworten. Die Länder können dann wiederum eine andere Regelung treffen. Im Verhältnis zu Bundes- und Landesrecht hat dann das jeweilige spätere Gesetz Gültigkeit. Ein für die Jugendhilfe vernichtendes hin und her, was auch als Pingpong-Gesetzgebung bezeichnet wird. In Niedersachsen gibt es bereits den Beschluss, zum 01.01.2007 das Landesjugendamt aufzulösen. In einigen anderen Ländern sind die Landesjugendämter bereits aufgelöst und in Abteilungen der Ministerien oder anderen Strukturen von Behörden eingegliedert worden. Mit der Zerschlagung der bewährten auf zwei Ebenen bestehenden Behördenstruktur in der Kinder- und Jugendhilfe steht auch die Heimaufsicht zur Disposition. Denn Aufsicht kann nur dort unabhängig funktionieren, wo Leistungserbringung, Finanzhoheit und Kontrolle nicht in einer Hand liegt. In den 50er und 60 er gab es diese Trennung zwischen der Leistungserbringung und der Kontrolle häufig nicht. Das haben wir leidvoll erfahren müssen.

Darum appelliere ich an Sie:

verhindern Sie die Zerschlagung der Jugendämter
Verhindern Sie die Zerschlagung der Landesjugendämter
Verhindern Sie, dass Länder die fatale Zusammenlegung von Heimaufsicht und Finanzhoheit in einer und derselben Behörde regeln.

Mein dringender Appell an Sie: Ändern Sie das Grundgesetz so, dass eine Vermischung und Aushöhlung des Kinder- und Jugendhilferechts mit kommunalen Finanzinteressen nicht auf Kosten eine guten Kinder- und Jugendhilfe insbesondere der Heimaufsicht geht.