Emil K.
Mein Leben !
Meine Kindheit
Ich wurde im September 1940 in Waldstetten/Ostalbkreis geboren. Mein Vater arbeite in Schwäbisch Gmünd als Gold-Graveur. "SIE" das Wort Mutter bekomme ich bei dieser Frau nicht mehr über die Lippen. "SIE" war der Teufel persönlich. Bei jeder Gelegenheit bekamen wir tagsüber Prügel, wenn mein Vater in Arbeit war. "SIE" brachte eine 3jährige uneheliche Tochter mit in die Ehe, die noch brutaler geschlagen wurde. Bei mir war "SIE" nicht so gewalttätig, weil ich nie schwieg, sondern immer abends meinem Vater alles erzählte. Dann gab es meistens abends Ärger. Mein Vater nahm ihre uneheliche Tochter als eigen an, bzw. er adoptierte sie. Immer wenn "SIE" den Besen oder sonstige Gegenstände benutzte um meine Halbschwester zu züchtigen, stand ich dabei und konnte ihr nicht helfen, weil ich zu klein war. Mit den täglichen Streitereien ging die Ehe natürlich nicht gut.
"SIE" zeigte aus Wut meinen Vater an, er hätte meine Halbschwester unsittlich belästig, was aber nie der Wahrheit entsprach. (Meine Halbschwester inzwischen 70 Jahre alt, sagt auch heute noch, dass mein Vater nie unsittlich zu ihr war und daß er auch für sie ein guter Vater war, der immer das Beste für sie wollte).
Ich kann mich noch heute an zwei Fälle genau erinnern, als "SIE" wieder mal meine Halbschwester schlug fiel diese mit dem Kopf gegen den Herd und hatte eine stark blutende Kopfwunde, abends erzählte "SIE" meinem Vater, daß sie zu blöde zum Laufen sei und gegen den Herd gefallen, sei ohne ihr Zutun.Ein anderes Mal bekam ich mit, daß "SIE" meine Halbschwester immer in die Volksschule schickte, ohne Unterwäsche und sich königlich amüsierte, wenn ihr die anderen Mitschüler den Rock hoben. Mir tat das sehr weh, denn ich wurde immer informiert, von den anderen Mitschüler, das meine Schwester halbnackt rumlaufen würde.
Irgendwann als ich 9 Jahre alt wurde die Ehe geschieden. Ich wurde meinem Vater zugesprochen, meine Halbschwester kam, wie ich später erfuhr in ein Waisenhaus.
Es war eine wunderschöne Zeit ohne "SIE". Mein Vater malte in seiner Freizeit viel und er schrieb Theaterstücke, wo er selber auch als Darsteller auftrat, er hat mich immer zur Premiere eines neuen Stückes mitgenommen. Es war eine kurze aber glückliche Zeit.
Nachdem das Jugendamt die uns zwischenzeitlich fast täglich überwachten, meinem Vater mitteilten, daß ich in ein Heim kommen würde, wenn er mich weiterhin in die Theatersäle mitnahm, reagierte er sofort.Um dem zu entkommen und um mich weiterhin bei ihm zu belassen, zogen wir zu seiner Schwester, die ein Haus hatten und fortan für uns sorgte. Mein Vater nahm eine neue Arbeitsstelle an und er liebte und verwöhnte mich. Ich bekam immer alles was ich mir wünschte und was er sich finanziell leisten konnte.
Er schrieb weiterhin Theaterstücke und nachdem ich bettelte, dass er mich doch wieder mitnehmen sollte, erfüllte er mir den Wunsch.
Das war ein großer Fehler, wie ich heute weiß, denn bei einer dieser Premieren kamen 2 Frauen vom Jugendamt und holten mich aus "diesem Sumpf, wie sie es nannten)
Danach wurde ich vom Jugendamt 1951 mit 11 Jahren in das Pius Pflege Schülerheim nach Oggelsbeuren (Baden-Württemberg) eingewiesen
Dann nach langer Leidenszeit freute ich mich auf den Schulabschluss, weil ich damals der Meinung war, nun wieder zu meinem Vater zurück zu kommen was auch geschah. Ich war bei der Scheidung meiner Eltern meinem Vater zugesprochen worden und er sorgte wunderbar für mich.
Als "SIE" erfuhr, daß ich wieder nach der Schulentlassung bei meinem Vater war, versuchte "SIE" immer mich von meinem Vater wegzulocken.
Ich sah öfters aus dem Fenster bei meiner Tante, wie "SIE" vor dem Haus stand und mir zuwinkte.
Als "SIE" dann mitbekam, daß ich nichts von ihr wissen wollte und auch meine Tante mehrmals die Polizei informierte, sah ich"SIE" nicht mehr, erfuhr aber über Telefon, daß "SIE" einen Bauern im Allgäu kennen gelernt und ihn heiraten wollte. Irgendwie erreichte "SIE" dann, dass ich im Urlaub auf Anweisung des Jugendamtes (weil man einer Entfremdung vorbeugen wollte) für 4 Wochen zu ihr musste. Ich lernte dann den Bauern, den "SIE" heiraten wollte kennen und warnte ihn. Leider hat er nicht auf mich gehört. Ich musste dann bei dem Bauern für meine Unterbringung arbeiten. Ich lernte melken und mähen (von Hand). Ich wußte nicht, daß "SIE" dafür Geld kassierte. "SIE" wollte unbedingt, daß ich nun auch in Zukunft dort bleiben sollte und versuchte beim Jugendamt eine Verlängerung des Urlaubes zu erhalten. Irgendwie, ich weiß heute noch nicht warum und wieso das Jugendamt ihr alles glaubte, auf jeden Fall sollte ich weitere 3 Monate dort verbringen, ich weigerte mich und wollte wieder zu meinem Vater.
Daraufhin verfügte das Jugendamt die Einweisung in ein Jugendheim nach
Heidenheim/Brenz das in der Nähe meines Vaters lag, damit er mich jede Woche einmal besuchen könnte. Nachdem ich feststellte, daß mein Vater keine Besuchserlaubnis bekam und ich allein dort im Heim saß, war mir alles egal, lieber dann bei dem Bauern sein als in diesem Jugendheim eingesperrt. Ich habe die erstbeste Gelegenheit benutzt und bin ausgerissen. Ich mied die Landstraßen und ging über Felder und Wiesen, meistens nachts, ich hatte von meinem Vater einen Kompass zu meinem 10 Geburtstag geschenkt bekommen und den hatte ich immer bei mir. Nach über 4 Wochen kam ich dann im Allgäu an und tauchte bei dem Bauern auf. Dort erführ ich, dass "SIE" nicht mehr dort ist, sondern einen neuen Bauern ca. 70 km weiter kennengelernt hatte und dort wohnte. Dies war ein Mann von 72 Jahren, der viel Land besaß und wo "SIE" dachte, daß er bald stirbt und keine Erben hat. Als ich dort ankam und ihn vor ihr warnen wollte war es schon zu spät. Sie hatte bereits das Zepter in der Hand und quälte den armen Mann wie sie es bei uns in der Kindheit jahrelang tat. Auch war "SIE" plötzlich wieder schwanger und der alte Mann freute sich, weil er dachte es sei sein Sohn. Heute weiß ich, daß es nicht von ihm war sondern es ihm nur untergeschoben wurde. "Sie" lebt heute leider immer noch 96jährig auf dem Hof.
Ich war ihr damals nicht mehr willkommen und deshalb wurde ich zu einem anderen Bauern gesteckt um zu arbeiten. Dort ging es mir gut, zum Hof gehörte eine Gastwirtschaft und abends saßen wir mit den anderen Bewohner des kleinen Ortes zusammen. Nachts schlief ich nie im Bett sondern immer im Heu, das war wunderbar. Am Hof gab es auch einen Schäferhund, der nach ein paar Wochen nur noch auf mich hörte. Ich machte dort viele neue Erfahrungen. Das einzig negative daran war, dass "SIE" alle 4 Wochen in den Stall kam und meinen gesamten Lohn abholte. Als ich mich dann wehrte und ihr sagte, daß ich ohne Bezahlung arbeiten würde, damit Sie kein Geld mehr bekomme informierte Sie das Jugendamt und ich kam in das geschlossene St. Konradihaus in Schelklingen.
Das St. Konradihaus in Schelklingen war ein katholisches Erziehungsheim mit einem Priester als Chef und die gleichen Barmherzige Nonnen aus dem Kloster Untermarchtal wie vorher in der Piuspflege Oggelsbeuren. Ich ahnte Böses als ich das Heim und die Schwestern sah.
Zuerst wurde ich in die Dusche geschickt, wo ich mich nackt ausziehen mußte vor den kath. Nonnen. Ein Erzieher schnitt mir die Haare ab und überschüttete mich mit einem Desinfektionsmittel das erbärmlich stank. Damit sollten mir die Parasiten, die an mir klebten, abfallen. Ich konnte mich nicht erinnern, daß ich jemals Läuse oder dergleichen an mir hatte.
Dann wurde mir die Hausordnung vorgelesen und nun nahm mein Martyrium für die nächsten 5 Jahre seinen Lauf. Morgens um 6 Uhr wurden wir geweckt dann Frühstück (oder so was ähnliches) dann ging es in die Kapelle zum Beten. Anschließend wurde man zur Arbeit eingeteilt. Alle mußten sich in 4er Reihen im Hof zum Apell anstellen. Die kräftigsten Burschen wurden dann von den Firmen der Umgebung zur Arbeit auf dem Bauernhof, Schlach-tereien oder Bauunternehmen ausgesucht. Die restlichen mußten sich im Heim (Gärtnerei, Hofgut oder in div. Werkstätten zuir Arbeit melden. Im Heim gab es verschiedene Werkstätten (Schreinerei, Wäscherei, Gärtnerei, Schuhmacherei etc.) und ein Bauernhof. Dort durfte ich mich betätigen. Das tat ich gerne, denn dann kam man aus dem Heim auf die Felder und war für ein paar Stunden der Folter entronnen.
Da ich mich einfach so nicht an die täglichen widerkehrenden Gemeinheiten gewöhnen wollte, wurde ich extra einem Psychiater vorgestellt der mich untersuchte und als schwachsinnig und minderwertig abstempelte. Durch die vielen Prügel-Strafen wurde ich mit der Zeit zum Bettnässer. Da die Heimleitung der Meinung war, dass ich das absichtlich machen würde, überwies man mich nach Tübingen in die dortige Nervenklinik um die Ursache herauszufinden. Dort wurde dann ein neues Verfahren (wie man mir sagte) angewandt. Dies bestand darin, daß man mich an ein Eisenbett fesselte, dann bekam ich eine Spritze in den Rücken um mich ruhig zu stellen. Auf einem Tisch neben dem Bett befand sich ein rechteckiger Kasten wo 2 Drähte (blau und schwarz) mit einer Art Klemmvorrichtung am Ende vorhanden war. In der Mitte des Kastens befand sich ein großer runder Drehknopf, mit einer Skala dessen Bedeutung ich nicht verstand. Erst nachdem der Dozent Dr. W. Kretschmers mir die Drähte an Glied und Hoden machte und den Drehknopf betätigte, war mir schlagartig dessen Bedeutung klar. Ich sollte mit Elektroschocks von meinem Leiden (Bettnässen) befreit werden. Meine Schreie verhallten im Zimmer das schalldicht und in einem besonderen Gebäude des Tübinger Klinikums war. Je höher er das Rad drehte desto stärker waren die Schmerzen, so lange bis ich nichts mehr spürte. Ich wachte (ca. 5 Std. später) in meinem Krankenzimmer auf und dachte mein Unterleib wäre nicht mehr vorhanden. Es brannte wie Feuer und ich verlor erneut das Bewußtsein. Am nächsten Tag kam ich ins Untersuchungszimmer wo Dr. Kretschmers mit einigen anderen Leuten alle im weißen Kittel die Vorgehensweise des an mir getesteten Elektrogerätes in aller Deutlichkeit besprachen. Ich kam mir vor wie ein Objekt zum Studium, ich war überzeugt, daß ich Tübingen nicht mehr verlassen würde und wenn, dann nur im Sarg. Nach ein paar Tagen wo ich nicht mehr das Bett näßte, war die Doktorschaft überzeugt, daß durch diese Elektroschocks das Problem Bettnässen ad acta gelegt werden könnte. Doch kurz vor meiner Entlassung näßte ich wieder ein.
Daraufhin kam ich wieder in den schalldichten Raum und die Tortour begann von Neuem. Man war der Meinung, daß die verabreichte Höhe der Elektroschübe zu nieder sei und beträchtlich erhöht werden sollte. Keiner kann sich vorstellen was ich anschließend mitmachte, ich hatte das Gefühl in mir sei eine Bombe explodiert. Es war, wie wenn an jedem Fuß und jedem Arm eine riesen Kraft mich in Stücke reißen würde. Es war grauenvoll und ich dachte ich verbrenne bei lebendigem Leibe. Als der Arzt dann die Maschine abstellte merkte ich das nicht mehr, ich war zum Glück wieder bewußtlos. Ich weiß nicht mehr wann ich wieder aufwachte, ich sah nur bunte Lichter vor meinen Augen ich konnte nur Schemen erkennen und Stimmen die von weit her kamen. Ich bekam einige Spritzen in den Rücken und Bauch und so nach und nach kam ich ins Leben zurück. Damals wäre ich lieber tot gewesen, denn die Angst vor neuen Elektro-Schocks war riesengroß. Nachdem ich mich einigermaßen erholt hatte wurde ein noch ein Nervenfachärztliche Gutachten von Dr. Kretschmars erstellt. Es stempelte mich zu einem minderwüchsig etwas grob und kindlichen Jungen, der labil und primitiv wirkte. Bei einem der vielen Test wurde mir sogar der Hang zu Raub, Totschlag und Mord attestiert.
Das psychische Gesamtbild fällt nach diesem Bericht für mich katastrophal aus. (Auszug aus dem Bericht) K. verfügt über eine unter-durchschnittliche Intelligenz bei einem mangelhaften Abstraktionsvermögen seine Phantasie ist eng begrenzt. Das integrative Denken ist mangelhaft, er ist unkonzentriert, keine Durchhaltekraft. Er besitzt Mitgefühl aber kein Verantwortungsgefühl, in seiner Gesamtstruktur ist er sehr ungeformt und primitiv. Er wird immer versagen und im späteren Leben nie zurechtkommen, wenn man jetzt nicht erzieherisch auf ihn einwirkt. Unter der Bedingung, dass er streng geformt wird, wird er durchschnittliche Leistungen erzielen. Er neigt daher auch im späteren Leben zu einer querulatorischen Entwicklung. Es ist anzunehmen, daß bei K. eine frühkindliche Hirnschädigung besteht. Es handelt sich daher bei dem Kind um eine geschädigte, unterdurchschnittlich intelligente, ungenügend gesteuerte Persönlichkeit. Würde noch einmal eine Hirnschädigung auftreten so bestünde die Gefahr eines Krampfleidens und einer sehr erheblichen Wesensänderung (kommt der Psychiater zum Schluß seines Gutachten.)
Eine Beurteilung des damaligen Direktors vom 25.7.56 lautete wie folgt: (Zitat)
Der mittelgroße und schwächliche Junge hat seine Lehrstellen wegen seines vorlauten Wesens und seiner Unzuverlässigkeit verscherzt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass er außerhalb eines Erziehungsheimes nicht durchhalten würde. Er hat alle Mängel der Fürsorgezöglinge: schlampig, schmutzig, vorlaut, frech, streitsüchtig. Seine wiederholten Knochenbrüche waren immer die Folgen von ungezogenen Flegeleien, er ist ein nicht sehr arbeitsamer Junge. Nach unseren Beobachtungen und Erfahrungen wird der Junge draußen voraussichtlich bald versagen und wir empfehlen, ihn hier im Heim zu lassen. Als ich zurück zum Heim kam merkte ich sofort, was das Gutachten bewirkte, denn nun konnte man ja ärztlich verordnet mich behandeln wie einen Schwachsinnigen.
Außer den Nonnen gab es aber auch die Meister der verschiedenen Werkstätten, die aus dem Umland kamen. Viele von denen hatten sich im Laufe der Zeit die brutalen Methoden der Nonnen zu eigen gemacht, besonders der Erzieher Eisenreich, ein Berg von einem Mann tat sich dabei besonders hervor, wenn man von diesem eine Ohrfeige erhielt, flog man durch den ganzen Raum. Mit dem Schuhmachermeister (er lebt heute noch in Ehingen/Donau, und weiß heute natürlich nichts mehr von Schlägen und den Grausamkeiten) und dem Erzieher Erhard aus der Korbflechterei kam ein wenig Normalität ins Spiel.
Erzieher Erhard hatte zuhause in Munderkingen (ca. 10 km vom Heim entfernt) eine Wirtschaft die seine Frau führte. (Nach meinem Heimaufenthalt habe ich mich dort oft mit ihm getroffen, er war wie ein Vater zu mir, leider ist er viel zu früh, ich glaube 1968 verstorben.)
Als ich dann von der Schufterei auf dem Bauernhof genug hatte, ganze Felder Unkraut mit der Hand aus zureißen, Kartoffel hacken und schwere Säcke zu schleppen und was sonst noch als niedrige Arbeit anfiel, wurde ich zur Strafe zum Straßenbau verdonnert. Morgens ging es Richtung Steinbruch beim Zementwerk, dort mußten wir Kabel verlegen. Es war eine Schufterei ohne Ende.
Bei einem dieser Tage , als ich in den Mannschaftszug einsteigen wollte, fuhr der Zugführer ruckartig an und ich landete mit einem Fuß unter den Wagen. Das war kurz nach meinem 17. Geburtstag. Ich kam ins Krankenhaus und als ich dort aus der Narkose aufwachte, traf mich der Schock. Mein rechtes Bein war nicht mehr da.
Ich war so verzweifelt, dass ich die Schlaftabletten die ich damals jeden Abend bekam, sammelte und als ich 20 zusammenhatte, alle auf einmal schluckte, ich wollte nicht mehr leben. Leider (oder auch nicht) hat mich trotz größter Sorgfalt mein Bettnachbar beobachtet und die Schwester alarmiert. Nach mehreren Nachoperationen kam ich dann wieder zurück ins Heim und wurde dort dafür bestraft, dass ich dem Heim mit meinem Unfall so viele Unannehmlichkeiten bereitete.
Der Heimleiter persönlich nahm sich mit einem Prügel bewaffnet mich vor um mir zu demonstrieren, dass ich Schande über das Heim brachte.
Da ich jetzt mit einem Bein als volle Arbeitskraft nicht mehr zur Verfügung stand wurde ich in die Schuhmacherwerkstatt gebracht um dort das Handwerk zu lernen. Lust hatte ich keine dazu aber das durfte ich ja niemand sagen. Ich habe mich dann mit dem Meister dort einigermaßen verstanden und überlegte die ganze Zeit, wie ich aus dieser Hölle ausbrechen konnte.
Bei einem der Besuche im Krankenhaus dann endlich die Gelegenheit, ich floh aus dem Fenster der Toilettte und fuhr per Anhalter nach Munterkingen um dort im Gasthof des einen Erziehers Unterschlupf zu suchen. Leider erwischte man mich schon zu früh. Die Strafe dafür wr hart und es wurde keine Rücksicht auf meine Verletzung genommen.
Da wir aber nicht angemeldet waren (heute würde man sagen Schwarzarbeit) kam es zu Streitereien wer nun für den Unfall und der späteren Rente aufkommen sollte. Da ich bei einer Baufirma arbeitete. musste dann die Bauberufsgenossenschaft die gesamten Kosten tragen und mir eine Rente zahlen. Die Rente in Höhe von 115,50 DM kassierte der Württembergische Landesfürsorgeverband Stuttgart und wurde für die Heimunterbringung einbehalten.
Dazu kam noch der Heimverdienst, da hätte ich ja in einem 5 Sterne Hotel ohne Schläge wohnen können.
Mein Vater mußte ja damals monatlich 60,-DM an die Landesfürsorgestelle für die Heimunterbringung bezahlen. Auch habe ich ja vor dem Unfall beim Baugeschäft in Schelklingen gearbeitet, wofür ich monatlich Lohn erhielt, ich bekam davon 50 Pfennig Taschengeld im Monat Vor dem Unfall haben die monatlich 150 DM kassiert und nach dem Unfall waren es 175,50 DM.
Das war in dieser Zeit viel Geld, wenn man bedenkt, dass die damaligen Heimunterbringung in Schelklingen pro Tag DM 2,50 kostete. Damit habe ich die ganze Zeit meine Unterbringung selbst doppelt bezahlt. Insgesamt haben diese Ämter (lt. Akten) hochgerechnet auf die gesamte Heimzeit 13.775,00 DM von meiner Rente und den jeweiligen Verdiensten, die ich erarbeitete, einbehalten. ich habe bis heute von dem Geld nichts gesehen. Außerdem mußte ja auch das Jugendamt für meine Unterbringung bezahlen Wenn ich aber heute das Konradihaus in Schelklingen (www.konradihaus.de) und das herrliche Kloster von Untermarchtal betrachte, dann wundert mich das auch nicht mehr.
Nach einem weiteren Fluchtversuch erwischte man mich schon kurz danach. Die Strafe dafür waren Schläge mit einem Bambusrohr, dabei wurde ich sogar am frisch operierten Stumpf getroffen, was eine sofortige Einweisung ins Krankenhaus erforderte. Dort wurde dann gesagt ich wäre gefallen.. Für Kleinigkeiten wurde man mit Essensentzug und Prügeln bestraft. Besonders schlimm wurde es wenn man das Erbrochene wieder essen musste. Eine weitere fürchterliche Strafe waren für mich die vielen Strafduschen. Zuerst wurde für 2 Minuten das warme Wasser (manchmal brühheiß) aufgedreht und dann nur noch kalt, auch im Winter. Derjenige der sich in der Woche vorher nicht anständig verhalten hatte, bekam dann die Quittung in Form der Strafdusche bis zu einer Stunde unter kaltem Wasser.
Kam es mal vor, dass man 2 Tage nicht aufgefallen war, wurden die Nonnen und Erzieher misstrauisch und man bekam eine oder mehrere Ohrfeigen im voraus. Wenn man dann wieder aufgefallen ist, setzte es wieder Schläge.
Als ich der Schwester dort sagte, dass ich ja die Schläge bereits im voraus bekommen hatte, amüsierten sich die Nonnen darüber und dann wurde einem das schlechte Gewissen eingeredet, mit Sätzen wie:
"Aus dir wird nie etwas", "Sei froh, dass du hier sein darfst, damit du Ordnung lernst". Deine Eltern taugen nichts." Du kannst später froh sein über uns und du wirst uns ewig dankbar sein."
Mein Vater versuchte alles immer wieder, um mich aus dieser Hölle herauszuholen, leider vergebens. Er hat fast jede Woche an das Fürsorgeamt geschrieben und um meine Entlassung nachgesucht..
(Aus den Akten habe ich nun erfahren, dass man in meinem Vater eine Gefahr für mich und mein späteres Leben sah um so jede Bindung von vornherein zu verbieten). Selbst als ich meinen Vater einige Male vor dem Heim stehen sah um mich zu besuchen, hat man ihn nie zu mir gelassen. Auch die vielen Briefe an mich kamen nie bei mir an. Das tut mir heute noch weh, da mein Vater kurz nach meiner Entlassung aus dem Heim verstarb.
1959 bekam ich dann meine erste Prothese und lernte wie ein Kleinkind das Laufen. Es war ein tolles Gefühl wieder auf 2 Beinen zu stehen mit einem schockierenden Wermutstropfen. Immer wenn ich mich nicht genau an die Hausordnung hielt oder sonst auffiel, kam die Gruppenschwester Joachim und nahm mir zur Strafe die Prothese weg..
Das war für mich eine der schlimmsten Strafen neben den vielen Prügeln, die Tag für Tag fast schon automatisch anstanden. Die Schikanen wurden mit zunehmender Dauer im Heim immer brutaler, für jede Kleinigkeit wurde man hart bestraft. Besonders erinnere ich mich dabei immer an Schwester Joachim die damals schon älter war, klein und boshaft wie der Satan persönlich. (auch heute nach mehr als 50 Jahren bekomme ich jede Woche noch Alpträume von ihr).
Damals wurde man ja erst mit 21 Jahren volljährig und ich wollte nicht noch länger dort verbleiben, ich erinnert mich irgendwann dann daran, dass ich einen Onkel in meiner Geburtsstadt hatte, der dort auf dem Standesamt saß und der viel Verständnis für mich hatte und der mir versicherte, dass er mir irgendwie helfen kann. Er hat sein Versprechen wahr gemacht. Da er längst verstorben ist kann ich heute nach 50 Jahren soviel sagen, dass er die Lösung fand, um mich vor meinem 21. Geburtstag herauszuholen.
Somit sollte ich zum Leidwesen des damaligen Heimleiters bereits ein halbes Jahr früher entlassen werden und da ich die Lehre zum Schuhmacher, die ich nie machen wollte, vorzeitig abbrach, verfügte das Fürsorgeamt in Stuttgart bei meiner Entlassung (als sog. Fürsorgepflicht) dass ich eine Privatschule zum Erlernen eines kaufmännischen Berufes besuchen dürfte, die für mich kostenlos war. (Was so ein schlechtes Gewissen doch ausmachte, oder wollten Sie einem Regressanspruch vorbeugen).
Nach Abschluss dieser Prüfung fing dann endlich ein Leben an, über das ich allein dann bestimmen konnte, dachte ich. Doch schon beim ersten Einstellungsgespräch nach meiner Privatschule fing das Desaster an. Jeder wollte wissen, wo ich von 1954 bis 1960 gearbeitet habe. Da ich nicht sagen konnte, dass ich ein Heimkind war (Damals meinte ja jeder, dass man nicht ins Heim kommt wenn man anständig war) musste ich dort schon mit allen Tricks ausweichen.
Ich bin dann immer wieder von einer Stadt in die andere Stadt umgezogen um, diese Fehlzeit zu verschleiern Aber das Andenken an diese schlimme Zeit lässt sich auch heute noch nicht vergessen, denn durch den Verlust meines Beines werde ich Tag und Nacht daran erinnert und bestraft, die Rente, die ich von der Berufsgenossenschaft erhalte ist gering, weil das Heim ja keinerlei Abgaben leistete. Während andere Beinamputierte bei Arbeitsunfälle heutzutage ca. 1500 Euro dafür bekommen, ist es bei mir nur die Hälfte (weil ich ja damals nicht versichert war) .Dies empfinde ich als weitere Strafe, konnte aber die ganze Zeit nichts dagegen machen, denn ich muss ja froh sein, dass ich überhaupt etwas erhalte.
Auch die Arbeitszeit bis zu meinem 21. Lebensjahr wurde bei der Rente nicht berücksichtigt, so dass ich auch heute noch weitere Einbußen habe..
Das Schlimmste aber heute noch sind die Alpträume und Erinnerungen an diese Zeit. Auch habe ich bis heute kein Gotteshaus mehr besucht, bei Beerdigungen, wo ich doch hinmusste, bin ich immer erst gekommen, als alle schon am Grab waren. Schlimm ist auch heute noch die Angst vor Duschen und kaltem Wasser. Erst seit ca. 2 Jahren kann ich wieder duschen gehen, aber sogar im Hochsommer nur mit warmen bzw. heißem Wasser. Ich habe nie ein Freibad besuchen können, weil ich kaltes bzw. kühles Wasser am Körper seit der vielen Strafduschen im Heim nicht aushalte. Man sagt zwar die Zeit heilt alle Wunden, aber dies stimmt bei uns geschundenen ehemaligen Heimkinder nicht.
Ich verstehe auch heute noch nicht, warum die Nonnen uns damals so behandelt haben. Keiner kann auch heute noch verstehen was damals im Namen des Herrn mit uns passierte. Das schlimme daran ist, dass wir diese Erlebnisse nicht aufarbeiten können, weil die damaligen Beteiligten nicht mehr leben und diejenigen, die davon gewusst habe, auch heute noch alles verleugnen.
Als ich im Frühjahr dieses Jahres endlich den Mut aufbrachte, bei meinen ehemaligen Peinigern vorstellig zu werden, fuhr ich zuerst nach Schelklingen ins Konradihaus. Ich staunte nicht schlecht, was aus dem ehemaligen Erziehungsheim geworden ist. Eine vorbildliche Einrichtung mit kleinen Gruppen viel Freizeit und viel Engagement der dortigen Beschäftigten. Ich habe mit einigen der dort einsitzenden Jugendlichen gesprochen, die fast alle voll des Lobes waren. Als ich denen erzählte, was vor 50 Jahren hier passierte, haben viele gestaunt und mir nur ungern geglaubt. Viele fragten warum wir uns nicht gewehrt, hätten und warum wir uns das gefallen ließen. Sie konnten es nicht verstehen, daß wir uns damals so erniedrigen ließen.
Ich konnte dann meine dortigen Akten einsehen und stellte dabei fest, dass es sogar noch eine Angestellte dort gab, die in den 60igern Jahren dort anfing zu arbeiten und auch noch einiges von den damaligen Zuständen mit bekam. Der heutige Direktor Herr Landthaler empfing mich persönlich und ich konnte in Ruhe meine Akten lesen und es wurde mir gestattet, Kopien von allem was mir wichtig war anfertigen zu lassen. Das war das erstemal, dass ich endlich etwas "Positives" aus diesem Hause erfahren durfte. (Mein Dank geht an dieser Stelle an Frau H. und dem Direktor für diese für mich so wichtige Akteneinsicht) die mir ohne Komplikationen und auf sehr herzliche Weise gestattet wurde.
Anschließend fuhr ich nach Untermarchtal ins Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern um dort nach ehemaligen Schwestern vom Heim Ausschau zu halten, ich wurde zwar dort fürstlich empfangen, aber als ich mit meiner Geschichte anfing, glaubte man mir nicht. An den Gesichtern konnte ich ablesen, daß man mich für einen Lügner hielt.
Die Schwester Oberin sagte mir persönlich, dass sie zwar zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Kloster war, aber es kann nicht möglich sein, daß so etwas von irgendeiner Schwester passierte.
Ich empfahl ihr dann das Buch (Schläge im Namen des Herrn) zu lesen, damit sie selbst erfahren konnte, was zu dieser Zeit mit den Heiminsassen geschah. Ich erfuhr dann, dass eine der damaligen Schwestern noch lebte, aber nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen konnte. Ich dachte dann für mich, daß dies eine gerechte Strafe für die vielen Schläge sei.
Trotzdem hatte ich das Gefühl nach meinem Besuch, dass man in mir einen armen Irren sah, der unwahre Behauptungen aufstellte.
Dies ist das erstemal, dass ich mich zu dieser Zeit äußere. Mit anderen Menschen habe ich nie darüber gesprochen außer mit meiner Schwester, und dies auch erst vor einem Jahr.
Nachdem so viele andere Betroffene den Mut aufbringen ihre Erlebnisse zu veröffentlichen, muß ich unbedingt mitmachen, damit ich irgendwann vielleicht zur inneren Ruhe komme.
PS: Nachdem ich meine Akte nach 50 Jahren lesen konnte, wurde mir klar, dass in der damaligen Zeit alle Ämter, Behörden, Mediziner, Heime und die Bediensteten an einem Strang zogen. Es wurden nicht nur geschlagen, Geschehnisse verdreht, sexuelle Übergriffe, Drohungen, Beleidigungen, Nötigungen und vieles mehr immer mit dem Mantel der Nächstenliebe zugedeckt, sondern auch Lügen, Unterschlagungen bis hin zum Exitus von den heiligen Schwestern und Brüdern verübt.
Wenn wir jetzt nicht etwas dagegen tun, machen wir unsere Leiden unglaubwürdig. Es sind nicht mehr viele ehemalige geschundene Heimkinder am Leben, deshalb müssen wir weiter diese Erlebnisse verbreiten. Alle die bis jetzt noch schweigen sollten ihre Leiden zu Papier bringen, denn gemeinsam sind wir stark, Kämpfen wir um unser Recht und um unsere Ehre, die uns in dieser schlimmsten Zeit genommen wurde. Ich wünsche allen viel Kraft dazu.