Otto Behnck

Mein Name. Otto Behnck, geboren am 3. September 1951 in Bargteheide, Schleswig- Holstein.

Mein Weg in die Fürsorgeerziehung - nach Glückstadt

Die ersten Konflikte hatte ich mit meinen Eltern als ich etwa 17 Jahre alt war, ich lies mir die Haare etwas länger wachsen, entschied mich andere Kleidung zu tragen, spielte Gitarre in einer Beatband, hatte Freunde die meinen Eltern überhaupt nicht gefielen, kam ab und zu mal etwas später nach Hause, fürs zu spät nach Hause kommen gab es Schläge von meinem Vater, und brach dann auch noch meine Lehre ab. Es kam dann zu einem Riesenkrach zwischen meinen Eltern und mir, ich packte meine sieben Sachen, vor allen Dingen meinen Schlafsack und trampte gemeinsam zusammen mit meinem Freund Norbert Schulz quer durch Dänemark. Diese schöne Zeit in Dänemark werde ich nie vergessen.
Nach etwa einem halben Jahr kamen wir aus Dänemark nach West- Deutschland zurück.

Norbert Schulz zog nach West- Berlin um, ich wohnte in Ahrensburg in einer WG. und arbeitete in einer Gartenbedarfs- Firma um für meinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen. Zu meinen Eltern hatte ich keinen Kontakt. Ich erfuhr dann über Bekannte das Norberts Mutter und meine Eltern das Kreisjugendamt-Bad Oldesloe eingeschaltet hatten, unsere Eltern wollten uns beide mit Unterstützung des Jugendamtes wieder in die Gesellschaft eingliedern. Norbert war es zwar gelungen nach West- Berlin zu flüchten, obwohl er polizeilich in Berlin gemeldet war, einer Arbeit nach ging, versuchte das Kreisjugendamt Bad –Oldesloe mit Unterstützung des Amtsgerichtes Ahrensburg einen gegen meinen Freund Norbert beantragten Haftbefehl zu vollstrecken. Der Arm des Jugendamtes reichte weit, aber nicht weit genug ,denn West- Berliner Behörden veranlassten die Aufhebung des Haftbefehles.

Man muss sich vorstellen das mein Freund Norbert Schulz und ich wir keinerlei Straftaten begangen hatten.

Nun wieder zu meiner Person, wie gesagt erfuhr ich das meine Eltern mit einem gewissen Herrn Goertler vom Kreisjugendamt Bad-Oldesloe die Vereinbarung getroffen hatten mich ins Landesfürsorgeheim Glückstadt einzuweisen. Ich suchte daraufhin die für mich zuständige Fürsorgerin Frau Plath in Ihrer Wohnung in Ahrensburg auf. Frau Plath gab mir bei diesem Gespräch zu verstehen das sie für mich nichts mehr tun könnte, ihr Vorgesetzter Herr Goertler hätte das so entschieden, sie könne mir nicht mehr helfen, ich konnte gehen Frau Plath rief nicht die Polizei, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wäre.
Bei einem späteren Besuch bei meinen Eltern, um dort eine per Postanweisung für mich eingegangene Lohnsteuerrückzahlung abzuholen, kam es zum Streit, meine Eltern weigerten sich mir die bei ihnen eingegangene Lohnsteuerrückzahlung auszuhändigen, mit der Begründung, Herr Goertler vom Jugendamt hätte ihnen gesagt falls ich zu Hause auftauchen sollte, meine Eltern sollten auf jeden Fall sofort die Polizei anrufen. Ich wollte es einfach nicht wahr haben als meine Mutter tatsächlich die Polizei rief. Ich wurde von Polizisten in meinem Elternhaus festgenommen und auf direktem Wege nach Glückstadt verbracht. Meine persönlichen Sachen musste ich in der WG zurücklassen.

Am 18.10.1970 wurde ich in das Landesfürsorgeheim- Glückstadt eingewiesen.
Schon auf der Hinfahrt nach Glückstadt befand ich mich in einer Art Lähmungszustand ich war zu keiner Reaktion fähig. In Glückstadt angekommen führten mich die Beamten durch die berühmte Schleuse des Landesfürsorgeheimes-Glückstadt

Das Landesfürsorgeheim- Glückstadt war ein geschlossenes Heim, während der Nazizeit diente das Heim als Schutzhaftlager und Arbeitserziehungslager Glückstadt/ Elbe!

Man brachte mich in das so genannte Aufnahmezimmer der Gruppe 1 und verschloss hinter mir die Zimmertür. Hier sass ich nun in diesem Zimmer, vor den Fenstern dicke Gitterstäbe, halbzugezogene Fenstervorhänge ,ein Tisch ,drei Stühle und ein Eisenbettgestell. Es kam später noch mal ein Erzieher herein, der sagte zu mir Heute sei es schon zu spät alles weitere machen wir morgen.
”Morgen werden wir dir zuerst mal die Haare schneiden!”
Ich schnitt mir am nächsten Morgen meine schönen schulterlangen Haare selbst ab.
Am nächsten Tag wurde ich eingekleidet, beige-brauner Leinenanzug, blau- weiss gesteiftes Hemd , graue Wollsocken, eine Unterhose u. ein Unterhemd und ein Paar Holzklapperlatschen. Einweisung auf “Gruppe 1”, Schlafraum, Bett, Schrank, Speisesaal, Erzieherzimmer, Duschraum. Ich lernte zu erst den Erzieher von “Gruppe 1” Hennings kennen ,er stellte mich den anderen Zöglingen der “Gruppe 1” vor.
Am nächsten Morgen wurde mir mein neuer Arbeitsplatz zugewiesen, es war der berühmte Strickboden, hier wurden für die Fischerei Netze per Hand gestrickt. Für ein paar hundert Maschen gab es eine Filterzigarette, ausser Blasen an den Fingern gab es keinen weiteren Lohn für unsere geleistete Arbeit.

Der Tagesablauf war von Montag bis Samstag immer der gleiche. Morgens um 6 Uhr früh aufstehen schnell frisch machen, Frühstücken, dann zur Arbeit, Mittagessen, kurze Rauchpause und dann wieder zur Arbeit, um 18 Uhr war Feierabend dann Abendessen. danach konnte man mit den anderen Zöglingen seiner Gruppe den Feierabend verbringen. 20 Uhr war Einschluss um 22 Uhr Licht aus . Am Wochenende durfte man im Gemeinschaftsraum Fernsehen. Musik nach unserem Geschmack gab es nicht zuhören. Zeitungen oder Nachrichtenmagazine oder Kontakt nach draussen gab es nicht. Selbstverständlich hatte ich keinen Ausgang; Schreiben dufte ich nur einen Brief an meine damalige Freundin. Der Inhalt dieses Briefes war ein Hilferuf , und wurde selbstverständlich zensiert. Mein Brief wurde zwar beantwortet blieb aber ohne Erfolg.

Wir waren von der Aussenwelt so gut wie abgeschnitten.
Im Heim gab es insgesamt 4 Gruppen.

Zur Verpflegung möchte ich nichts weiter bemerken als das, man liess uns zwar nicht verhungern. Brot gab es genug, die warmen Mahlzeiten waren einfach mies.
Am Montagmorgen verkündete der Heimleiter Blanck den so genannten Wochenspruch vor allen Zöglingen des Heimes auf dem Innenhof.
Einmal im Monat gab es 5,- DM „für den Einkauf. Einmal die Woche war Duschen erlaubt, und einmal die Woche wurde frische Unterwäsche ausgegeben .
Im Heim gab es folgende Freizeitmöglichkeiten und Sportmöglichkeiten: Einen Lederfussball., eine Tischtennisplatte und einen Boxring.
Boxen unter dem Trainer R. Walter.
Walter liess mit Vorliebe schwächere Zöglinge gegen wesentlich stärkere Zöglinge antreten, um sich so bei den Schwächeren für eventuelle Aufsässigkeiten und Verstösse zu bedanken.
Mein erster Ausbruchversuch.

Kurz nach meiner Einweisung auf “Gruppe 1” unternahm ich den ersten Ausbruchsversuch gemeinsam mit noch drei weiteren Zöglingen mit denen ich das Zimmer teilte, brachen wir mit Essbesteckteilen und den Bettgestell - Füßen ein recht grosses rundes Loch in die Zimmerwand, das unser Zimmer von dem Erzieherzimmer trennte, in dem wir sämtliche Schlüssel vermuteten.
Doch plötzlich ging überall das Licht an, die Erzieher stürmten herein und da ich der älteste war bekam ich, obwohl ich keinerlei Gegenwehr leistete vom Erzieher Walter mit seiner kurzen Leder- Schlagrute ein paar Hiebe übergezogen.

Zu aller Verwunderung kam ich nicht in den Bunker. Aber die Schläge von Walter haben mir auch schon gereicht. Bei diesem Ausbruchversuch war auch Hansi Beyer beteiligt, derselbe Hans Beyer der sich später im Alter von ca. 16 Jahren in diesem Heim das Leben nahm.

Als Bunker dienten die alten Schutzhaftzellen die sich im Kellergeschoß befanden. Des weiteren befand am Ende des Kellerganges ein so genannter “Beruhigungsgitterkäfig”. Der so genannte Box.

Mein 2. Fluchtversuch.
Eines Tages im November 1970 erschienen Werber der Bundeswehr im Heim und machten Zöglingen die im Wehrpflichtigen alter waren das Angebot sich freiwillig zum Wehrdienst zumelden um dadurch die Möglichkeit zu erhalten aus dem herauszukommen. Ich meldete mich, und ein paar Tage später wurden wir in unserer Zivilkleidung mit VW - Bussen zum Kreiswehrersatzamt nach Itzehoe gefahren.
Diese Gelegenheit nutzte ich zur Flucht, ich sprang aus dem Toilettenfenster des 2. Stockwerkes. Auf abenteuerlichem Wege, per Anhalter und Bahn gelang es mir bis zu meinen Eltern nach Hause zu kommen. Hier wurde ich wieder von der Polizei festgenommen. Auf der anschließenden Fahrt lernte ich Herrn Goertler vom Kreisjugendamt- Bad- Oldesloe persönlich das erste Mal kennen, ich bat einen der begleitenden Polizeibeamten um eine Zigarette, er verneinte mit der Begründung er und sein Kollege seien Nichtraucher, der Wagen hielt an und einer der Beamten stieg aus und zog aus einem Zigarettenautomaten mir eine Schachtel Zigaretten, er schenkte mir sie. Als ich mir anschließend eine Zigarette anzündete sagte leise im Flüsterton Herr Goertler zu mir “ Behnck, dich kriege ich auch noch klein!“

Im Heim angekommen wurde ich sofort in den Bunker gebracht, nach dem ich wieder die Heimklamotten angezogen hatte. Hier im Bunker blieb ich eine Woche, zwei Tage verweigerte ich die Nahrungsaufnahme, am dritten Tag bettelte ich darum auf dem Innenhof Schnee zuschieben, man erlaubte es mir. Im Bunker gab es nichts ausser einen Tisch, einem Stuhl und einer auf dem Boden liegenden Mattratze, die morgens herausgenommen wurde, und nichts zu lesen. Für die Notdurft stand ein Eimer in der Ecke.
Nach einer Woche im Bunker kam ich wieder auf die Gruppe 1 zurück.

Am 2. Weihnachtstag 1970 besuchten mich meine Elter im Heim, meine Mutter und mein Vater sahen mich zum ersten mal in Heimkleidung meine Mutter reagierte völlig schockiert, meine Eltern wollte mich sofort mitnehmen durften es jedoch nicht, sie versprachen mir alles mögliche zutun um mich aus dem Heim zu holen, ich vertraute ihnen nicht. Anfang Januar wurde ich auf Gruppe 4 verlegt, die so genannte Entlassungsgruppe,

Trotzdem unternahm ich mit anderen Zöglingen zusammen wieder einen Fluchtversuch.

Die Gruppe 4 befindet sich im 3. Stock hier waren die Oberlichter nicht vergittert, wir knoteten nasse Bettlaken zusammen und Henry Westphal musste den Vorläufer machen, er stürzte ab . Die Erzieher stürmten herein und alle Zöglinge die aktiv am diesem Ausbruchsversuch beteiligt waren wurden barfüssig, bekleidet mit unseren Schlafanzügen und mit einer Wolldecke über dem Rücken hinüber zum Bunkerkeller und dort in die Box eingeschlossen. Es war im Januar und bitterkalt.

Am morgen wurde ich zur Heimleitung geführt, ich habe mit den schlimmsten Bestrafungen gerechnet statt dessen wurde mir meine baldige Entlassung versprochen.
Am 14.01.1971 wurde ich aus dem Heim entlassen.
Ich könnte noch soviel erzählen, obwohl ich nur knapp 3 Monate in Glückstadt war.

Otto Behnck, Schwedeneck, den 2. März 2007



Die Texte die vor dem Petitionsauschuss des Deutschen Bundestages am 11. Dezember 2006 von Betroffenen vorgelesen wurden fimnden Sie hier!



Landesfürsorgeheim Glückstadt