Meine Geschichte

Ich bin froh dass die Problematik der Ehemaligen Heimkinder langsam an die Öffentlichkeit kommt.
Ich will versuchen meine Geschichte, ohne Emotionen Schritt für Schritt zu erzählen.
 
 Die Zeit vor dem Heim.
 
1947 wurde ich in Esslingen am Neckar geboren. 2 Jahre später wurde meine Schwester geboren. Meine Mutter wollte dieses Kind nie haben. Kurz darauf reichte sie die Scheidung ein.
Ich kam zu meiner Mutter, die Schwester zum vater. Die ersten monate blieb ich noch bei meiner Mutter. meine Erinnerung geht sehr weit zurück, und ich habe mitbekommen wie ihre Liebhaber immer schneller wechselten. Ich muss ungefähr 4 Jahre gewesen sein als sie zum 2. mal heiratete. Diesmal war's ein Alkoholiker. Auch diese Ehe hielt nicht lange. Eines Tages landeten wir in einer Baracken-Siedlung in Esslingen. Die Siedlung war ein einziges Bordell. Jeden Abend kamen amerikanische Soldaten in die Schlafzimmer. Ich bekam die Gewalt der Männer / Zuhälter gegen die Frauen mit. Dieser Zustand wollten Oma und Opa beenden.(Eltern der Mutter) sie selbst lebten in BerkHeim einem Dorf bei Esslingen, auch in einer zugigen Baracke. Nach ein paar Jahren wurde Oma sehr krank und konnte mich nicht behalten. Meine Mutter hatte keine Zeit für mich und wollte mich auch nicht haben.
Ihre Lösung für das “Problem” war ein Heim. Ich war zu diesem Zeitpunkt 6 oder 7 Jahre alt.
So kam ich nach Stammheim/Calw. Zu diesem Kinderheim gehörte ein landwirtschaftlicher Betrieb und eine riesige Gärtnerei.
 
Die Zeit im Heim.

In diesem Heim war ich von 1954/55- 1960. Genau weiss ich das nicht mehr
Nie in meinem leben werde ich den ersten Tag vergessen. Ich kam vormittags an.
Zum Mittagessen gab´s “Saure Kutteln”(schwäbisches Gericht). Ich bekam das Zeug einfach nicht weg. Also wurde ich “gefüttert”. Ich hab´ mich nach jedem Bissen in den Teller erbrochen. Das musste ich wieder und wieder aufessen. Am Abend bekam ich den Teller wieder vorgesetzt. Wieder bekam ich das Erbrochene nicht weg. Jetzt machte ich zum ersten mal bekanntschaft mit “Tante Hanna” und deren hölzernen Handfeger. Sie schlug mich windelweich und ich musste ins Bett. Am nächsten Morgen stand sie wieder mit dem Teller in der Tür. Alles begann aufs neue.
Hanna war eine Sadistin wie sie im Buche stand. Immer wieder Schläge mit dem schweren Handfeger, redeten wir auch nur einmal wenn, das licht aus war kamen wir in die Besenstube. Ein eiskalter dunkler Raum, wir musste da Stunden verbringen. Und immer wieder diese Schläge. Es war ungeheuerlich, wie ein Kind so etwas aushalten konnte, weiss ich heute nicht mehr.
Wir wurden jetzt schon ganz langsam ans Arbeiten gewöhnt. Putzen und Socken stopfen für das Heim. Beim Stopfen stellte ich mich zu blöde an und prompt kam der Handfeger wieder in Aktion.
Diese Zeit ging vorüber und nach etwa 1 jahr kam ich in eine andere Gruppe. Da schwang Ingrid das Zepter. Die Gewalt bekam eine neue Qualität. Ingrid machte sich nur ungern die Hände an uns Kindern schmutzig. Sie hatte sich was anderes einfallen lassen. Im hause mussten wir Pantoffeln mit einer dicken Gummisohle tragen. Fast jeden Tag zog Ingrid einen der Jungs raus und machte ihm klar, dass es am Abend vor dem schlafen gehen Prügel gab. Er musste sich mit nacktem Hinterteil auf einen Stuhl legen. 20 - 25 Andere mussten ihm mit dem Pantoffel kräftig aufs Hinterteil schlagen. Wer nicht kräftig genug schlug, konnte sich daneben legen und bekam die gleich Behandlung.
Jetzt ging auch die Arbeit richtig los. In der Gärtnerei mussten wir in endlos langen Beeten Unkraut mit der Hacke jäten. Morgens 5 stunden Unterricht nach dem Essen kurze pause bis 13.00 Uhr, dann ging's los. Manchmal waren wir nass biss auf die Haut, oder bekamen dann fast einen Sonnenstich. Zu trinken gab´s nichts. Aber auch das ging vorbei. Nach wieder einem Jahr kam ich in die Gruppe der 10-14 jährigen.
Die Gewalt wurde etwas erträglicher, aber jetzt ging die Arbeit erst richtig los. Wir mussten im landwirtschaftlichen Betrieb schuften, bis zum Umfallen. Bei einem Ernteeinsatz (Heuernte) bekam ich Probleme mit dem Rücken. Das sollte mich mein ganzes weiteres Leben begleiten.
(Dazu später mehr) Das ging die ganze Woche so bis Samstagmittag.
Was in dieser Zeit schlimm war, war das Essen. Wir bekamen morgens in der Pause die Reste vom Vortag, meistens Nudeln oder Kartoffeln in einer Kaffee (ersatz) -Brühe vom Morgen. Wenn wir Pech hatten, schmeckte das ganze auch noch nach Seife.
Meine Probleme mit dem Rücken nahmen zu, aber ich hab's einfach ignoriert. Ich kann mich noch erinnern, wie wir im Schwarzwald im Oktober Rüben oder etwas in der Art ausbuddeln mussten. Mir fielen fast die Finger ab so kalt war's, der Rücken machte fast nicht mehr mit, aber ich musste.
Ich glaube es war 1960 als plötzlich der Bericht kam ich könnte nach Hause gehen.
Die Zeit Nach dem Heim
 
Meine Mutter hatte inzwischen Ehemann NR. 3 geheiratet. Ich kam nach Hause zu einem fremden Mann und konnte mich an das Familienleben nicht mehr gewöhnen. Unter anderen Jugendlichen war ich sehr gefürchtet, weil ich immer zuerst schlug und dann Fragen stellte.
Ich beendete die Volksschule und begann eine Lhre als Mechaniker. Meine Rückenprobleme kamen wieder. Mit 17 war ich zum ersten Mal bei einem Arzt. Mit Sport und Massagen wurde es etwas besser.
Die Konflikte mit meiner Mutter und dem Stiefvater wurden von Woche zu Woche schlimmer. Ich wollte nur noch eines, weg, weit weg von ihnen. Nach meiner Gesellenprüfung hab ich mich sofort freiwillig zur Marine gemeldet und hab´ die Mutter mit dem Stiefvater 1966 wieder verlassen. Ich hatte genau 6 Jahre meines Lebens in einer “Familie” zugebracht.
Die Marine gab mir alles das was ich nie hatte, ein zuhause. Die “Gruppe” war das was ich kannte. Ich wollte da nie wieder weg. Aber es kam anders. Nach 2 Jahre lernte ich meine spätere Frau kennen. Eine Holländerin. 1970 wurde unsere 1. Tochter geboren und ich gab meiner Frau das versprechen die Marine zu verlassen und das wilde Leben zu beenden. 1971 kam die 2. Tochter und ich verließ die Marine. Ich zog mit Frau und Kindern wieder nach Süddeutschland. Schon nach kurzer Zeit gab´s Konflikte mit meiner Mutter. 1976 bin ich mit Frau und Kindern nach Holland verzogen.(Wieder eine Flucht). Hier wurde unser Sohn geboren. Ich bekam einen guten Job als Techniker und alles war prima, bis vor etwa 10 Jahren.
Plötzlich, mit 45 Jahren bekam ich psychische Probleme. Meine Frau bat mich einen Psychologen aufzusuchen. Ich lehnte das ab. Auch der Rücken wurde immer schlimmer. Manchmal konnte ich Wochen fast nicht mehr laufen. 1997 habe ich endlich auf meine Frau gehört und ging zum Psychologen. Die Behandlung dauerte 4-5 Jahre. Die Holländer haben mir sehr geholfen. Ich hab ihnen meine Geschichte erzählt. Die psychischen Probleme wurden besser. Ich kann dem Ganzen heute einen Platz geben. Nur meine Mutter kann ich bis heute nicht ertragen.(sie ist inzwischen zum 4. mal verheiratet der stiefvater ist gestorben).
 
2003 wurden meine Rückenschmerzen so stark, dass ich in die Frührente musste.
Heute bin ich 36 Jahre verheiratet meine Frau war immer mein großer Halt. Sie hat selbst in schwierigen Situationen immer zu mir gehalten. Eins hab ich mir am Anfang unserer Ehe geschworen: Niemals werde ich meine Kinder so behandeln wie wir Heimkinder behandelt wurden. Heute hab ich 5 Enkel, alle kommen sie gerne ins elterliche Haus. Ich glaube, ich hab´ mit jungen Jahren gerade nochmal die Kurve bekommen. Heute bin ich meiner Familie unheimlich dankbar dafür.
 
 
Das war meine Geschichte (in Kurzform)
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